Urteil des BAG vom 17.04.2002 – 5 AZR 413/00
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 17.04.2002, 5 AZR 413/00
Teilzeitbeschäftigung; übliche Vergütung
Leitsätze
Verstößt eine vertragliche Vergütungsabrede gegen § 2 Abs 1 BeschFG 1985 und ist sie deshalb gemäß § 134 BGB nichtig, hat der Arbeitnehmer nach § 612 Abs. 2 BGB Anspruch auf Zahlung der üblichen Vergütung. Dieser Anspruch besteht nur solange, wie eine Benachteiligung wegen Teilzeitarbeit vorliegt (Bestätigung von Senat 19. August 1992 - 5 AZR 513/91 - AP Nr 102 zu BGB § 242 Gleichbehandlung).
Tenor
1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 24. März 2000 - 3 Sa 514/99 E - aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Arbeitsvergütung für den Zeitraum Juni bis Dezember 1998.
Die Klägerin ist auf Grund eines mit dem beklagten Land geschlossenen Arbeitsvertrags an der Universität Oldenburg als teilzeitbeschäftigte Lehrkraft für besondere Aufgaben im Fach Musik tätig. Sie erhielt zunächst eine nach Semester-Wochenstunden bemessene Vergütung. In einem Vorprozeß über die Höhe des Entgelts verpflichtete sich das beklagte Land vergleichsweise, die Klägerin ab 1. November 1989 nach VergGr. IV a BAT zu vergüten. Der Rechtsstreit endete mit einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 6. Februar 1996. Es wurde festgestellt , daß das beklagte Land verpflichtet sei, an die Klägerin ab 1. November 1989 anteilige Vergütung nach VergGr. II a BAT zu zahlen. Diese Vergütung leistete das beklagte Land bis zum 31. Mai 1998.
Mit Schreiben vom 20. Mai 1998 teilte der Präsident der Universität Oldenburg der Klägerin mit:
"...
Laut Arbeitsvertrag bzw. Runderlaß des MWK vom 13. August 1993 (Nds. MBl. S. 958) sind Sie danach außertariflich eingruppiert in VergGr. IV a BAT - nach zehnjähriger Bewährung in VergGr. IV a BAT in VergGr. III -. Durch Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg/Landesarbeitsgerichtes Hannover bin ich verpflichtet worden, Ihnen Vergütung nach VergGr. II a BAT zu gewähren, und zwar wegen eines Verstoßes gegen den in § 2 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz normierten Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser Verstoß wurde darin gesehen, daß insbesondere hier beschäftigte sogenannte Vollzeitkräfte, die nach Feststellung des Gerichts ebenfalls überwiegend Instrumentalunterricht erteilen, in VergGr. II a BAT eingruppiert sind.
Diesen Beschäftigten habe ich nun mit Wirkung vom 1. Juni 1998 Aufgaben nach § 65 NHG übertragen; danach ist Instrumentalunterricht in Form von Einzel- bzw. Gruppenunterricht nur noch im Umfang von 2 LVS zu leisten.
Nach alledem ist der Rechtsgrund für die Zahlung einer Vergütung, die von der außertariflichen Eingruppierung abweicht, entfallen. Die erforderliche Korrektur wird mit Wirkung vom 1. Juni 1998 vorgenommen."
Seit 1. Juni 1998 erhält die Klägerin Vergütung nach der VergGr. IV a BAT.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, auf Grund der rechtskräftigen Entscheidung in dem Vorprozeß könne sie eine Vergütung nach VergGr. II a BAT verlangen. Hierauf habe sie einen vertraglichen Anspruch. Die Klägerin hat bestritten, daß den im Vorprozeß namentlich benannten vollzeitbeschäftigten und nach VergGr. II a BAT vergüteten Arbeitnehmern andere Aufgaben zugewiesen worden seien. Soweit diese Mitarbeiter ausgeschieden seien, würden die Nachfolger entsprechend eingesetzt. Außerdem beschäftige das beklagte Land noch weitere vergleichbare und nach VergGr. II a BAT vergütete Vollzeitkräfte. Schließlich erfülle sie nach den geltenden Vergütungsvorschriften die Voraussetzungen für eine Eingruppierung in die VergGr. II a BAT.
Die Klägerin hat beantragt,
1. das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin 2.053,98 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den verbleibenden Nettobetrag seit 1. September 1998 zu zahlen,
2. das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin weitere 3.423,30 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den verbleibenden Nettobetrag seit 1. Januar 1999 zu zahlen,
3. festzustellen, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit dem Schreiben vom 20. Mai 1998 unwirksam ist.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat behauptet, die mit der Klägerin vergleichbaren vollzeitbeschäftigten und nach VergGr. II a BAT vergüteten Arbeitnehmer seien zum Teil ausgeschieden, im übrigen sei ihnen spätestens mit Wirkung vom 1. Juni 1998 ein anderes Aufgabengebiet übertragen worden. Sonstige vergleichbare vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer seien nicht vorhanden.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt das beklagte Land seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des beklagten Landes ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Der Senat kann aufgrund der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht selbst abschließend beurteilen, ob der geltend gemachte Vergütungsanspruch der Klägerin besteht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das beklagte Land sei nach § 612 Abs. 2 BGB verpflichtet, der Klägerin eine anteilige Vergütung nach VergGr. II a BAT zu zahlen, weil die vertraglich vereinbarte Vergütung nach Semester-Wochenstunden gemäß § 2 Abs. 1 BeschFG, § 134 BGB nichtig sei. § 612 Abs. 2 BGB fingiere eine vertragliche Vergütungsvereinbarung, von der sich das beklagte Land nicht einseitig lossagen könne. Hiermit hat das Landesarbeitsgericht die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den bis zum 31. Dezember 2000 geltenden § 2 Abs. 1 BeschFG verkannt. Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer anteiligen Vergütung nach VergGr. II a BAT gemäß § 2 Abs. 1 BeschFG, § 134 BGB iVm. § 612 Abs. 2 BGB besteht nur so lange, wie eine Benachteiligung wegen der Teilzeitarbeit vorliegt.
1. Nach § 2 Abs. 1 BeschFG darf der Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln. Wird ein Arbeitnehmer wegen seiner Teilzeitbeschäftigung anteilig niedriger vergütet als ein Vollzeitbeschäftigter, ist die Vergütungsabrede gemäß § 134 BGB iVm. § 2 Abs. 1 BeschFG nichtig (vgl. Senat 19. August 1992 - 5 AZR 513/91 - AP BGB § 242 Gleichberechtigung Nr. 102; BAG 15. Mai 1997 - 6 AZR 40/96 - BAGE 86, 1; 26. September 2001 - 10 AZR 714/00 - AP TzBfG § 4 Nr. 1 = EzA BeschFG 1985 § 2 Nr. 65).
Eine solche unterschiedliche Behandlung lag hier nach dem im Vorprozeß ergangenen rechtskräftigen Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vor. Das beklagte Land vergütete die Klägerin niedriger als vergleichbare vollzeitbeschäftigte Lehrkräfte. Die vertragliche Vergütungsabrede war daher wegen Verstoßes gegen § 2 Abs. 1 BeschFG gemäß § 134 BGB nichtig.
2. Verstößt eine vertragliche Vergütungsabrede gegen § 2 Abs. 1 BeschFG und ist sie deshalb gemäß § 134 BGB nichtig, hat der Arbeitnehmer nach § 612 Abs. 2 BGB Anspruch auf Zahlung der üblichen Vergütung (vgl. Senat 19. August 1992 aaO; BAG 26. Mai 1993 - 4 AZR 461/92 - AP BGB § 612 Diskriminierung Nr. 2 = EzA BeschFG 1985 § 2 Nr. 28; Senat 15. November 1994 - 5 AZR 681/93 - AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 39 = EzA BeschFG 1985 § 2 Nr. 37; 9. Oktober 1996 - 5 AZR 338/95 - BAGE 84, 222; siehe hierzu auch MünchArbR/Schüren 2. Aufl. § 161 Rn. 91 und Mosler AR-Blattei SD 1560 (2002) Rn. 65, die den Anspruch direkt aus § 2 Abs. 1 BeschFG herleiten). § 612 Abs. 2 BGB schließt die durch die Nichtigkeit der Vergütungsvereinbarung im Arbeitsvertrag entstandene Lücke.
3. Die vertragliche Vergütungsabrede ist nicht auf Dauer, sondern nur so lange nichtig, wie ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 BeschFG vorliegt.
a) Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz iSv. § 134 BGB bestimmen sich nach dem Zweck der Verbotsnorm. Durch Auslegung ist zu ermitteln, ob sich aus dem Verbotsgesetz ein anderes als die Nichtigkeit ergibt (vgl. MünchKommBGB/Armbrüster 4. Aufl. § 134 Rn. 103; Soergel/Hefermehl BGB 13. Aufl. § 134 Rn. 29).
b) § 2 Abs. 1 BeschFG bezweckt den Schutz der Arbeitnehmer vor einer Benachteiligung wegen Teilzeitbeschäftigung. Nur bei Verstößen hiergegen ist die Privatautonomie eingeschränkt und eine vertraglich vereinbarte Vergütungsabrede, die keine weiteren Mängel aufweist, unwirksam. Eine Benachteiligung wegen Teilzeitarbeit besteht nicht notwendigerweise auf Dauer. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 BeschFG können vielmehr wegen sich verändernder Verhältnisse entfallen. Für benachteiligende Vergütungsabreden bedeutet dies, daß sie nur unwirksam sind, wenn und solange eine Benachteiligung wegen Teilzeitarbeit besteht. Liegt keine Benachteiligung wegen Teilzeitarbeit mehr vor, erlangt die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschlossene Vergütungsvereinbarung wieder Geltung. Dann ist die Vergütungshöhe arbeitsvertraglich wirksam bestimmt. Für eine Anwendung des § 612 Abs. 2 BGB verbleibt kein Raum mehr.
4. Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, ob nach dem 31. Mai 1998 noch eine Benachteiligung der Klägerin wegen Teilzeitarbeit vorlag. Es hat den streitigen Parteivortrag hierzu dahinstehen lassen. Aus diesem Grund ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben.
II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 565 Abs. 3 ZPO).
1. Der Klägerin steht die begehrte Vergütung nicht nach den Runderlassen des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst des Landes Niedersachsen vom 29. Juni 1990 (Nds. MBl. S 882) und vom 13. August 1993 (Nds. MBl. S 958) zu. Unterstellt, daß diese Eingruppierungsbestimmungen auf sie anwendbar sind, hat die Klägerin deren Voraussetzungen nicht schlüssig vorgetragen.
a) Nach dem Runderlaß vom 29. Juni 1990 sind Lehrkräfte in die VergGr. II a BAT einzugruppieren, wenn sie über ein abgeschlossenes Hochschulstudium in einem wissenschaftlichen Studiengang oder an einer künstlerisch-wissenschaftlichen Hochschule verfügen und eine dem Studium entsprechende Lehrtätigkeit ausüben (so auch BAG 28. September 1994 - 4 AZR 619/93 - AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 38, zu B II 2 der Gründe = EzA BGB § 612 Nr. 17). Aus dem Vortrag der Klägerin wird nicht ersichtlich, weshalb die Erteilung von Instrumentalunterricht eine dem Studium entsprechende wissenschaftliche Lehrtätigkeit darstellen soll. Die Klägerin hat nicht dargelegt, daß ihrer Tätigkeit ein "akademischer Zuschnitt" zukommt (vgl. BAG 28. September 1994 aaO, zu B II 2 b bb der Gründe) und daß ihre Tätigkeiten über die Vermittlung praktischer Fertigkeiten und Kenntnisse hinausgehen. Es ist deshalb davon auszugehen, daß der Instrumentalunterricht im wesentlichen der Vermittlung von Fertigkeiten dient und keine wissenschaftliche Lehrtätigkeit im Sinne des Runderlasses darstellt. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, inwieweit die wissenschaftliche Hochschulausbildung der Klägerin Voraussetzung der Durchführung des Unterrichts war.
b) Nach dem Runderlaß vom 13. August 1993 sind Lehrkräfte mit der Befähigung für das Lehramt an Sonderschulen bzw. mit der Befähigung für das Lehramt an Realschulen mit einer der Vorbildung entsprechenden Tätigkeit in die VergGr. II a BAT einzugruppieren, soweit sie nicht ua. als Instrumental- und Gesanglehrerinnen und Instrumental- und Gesanglehrer über den reinen Instrumentalunterricht hinaus weitere Aufgaben, zB in den Disziplinen Gehörbildung, Tonsatz (Harmonie- und Satzlehre), allgemeine Satzlehre usw. wahrnehmen. Diese sind in VergGr. IV a BAT und nach zehnjähriger Bewährung in VergGr. III BAT eingruppiert, falls sie ein für diese Lehrtätigkeit dienliches mindestens sechssemestriges Studium absolviert haben. Die Klägerin hat unabhängig von der fehlenden Lehrbefähigung keine "entsprechende Tätigkeit" ausgeübt.
2. Sonstige Regelungen einer Eingruppierung in die VergGr. II a BAT sind für die Tätigkeit der Klägerin nicht ersichtlich und werden von der Klägerin auch nicht vorgetragen. Nach Nr. 5 der Vorbemerkungen zu allen Vergütungsgruppen gilt die Anlage 1 a zum BAT für Lehrkräfte nicht. Deren Eingruppierung ist im Arbeitsvertrag zu regeln. Danach erhält die Klägerin Vergütung nach VergGr. IV a BAT.
III. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Hierbei wird das Landesarbeitsgericht auch zu berücksichtigen haben, daß der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Zahlung einer Zuwendung für das Jahr 1998 nach der Protokollnotiz Nr. 1 zu § 2 TV Zuwendung nicht 100 % der Bezugsgröße nach § 2 Abs. 1 TV Zuwendung beträgt.
Müller-Glöge Mikosch Linck
Kessel R. Rehwald
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