Urteil des BAG vom 17.04.2002 – 5 AZR 2/01
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 17.04.2002, 5 AZR 2/01
Anlaßkündigung - Bevorstehende Arbeitsunfähigkeit
Leitsätze
Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlaß einer bevorstehenden Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, läßt dies den Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts unberührt, wenn der Arbeitgeber mit der bevorstehenden Arbeitsunfähigkeit sicher rechnen muß.
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 24. Oktober 2000 - 3 Sa 1652/00 - aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus übergegangenem Recht in Anspruch.
Der bei der Klägerin krankenversicherte Arbeitnehmer G. war bei dem beklagten Gebäudereinigungsunternehmen vom 3. August 1999 bis zum 16. September 1999 als Glasreiniger beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der allgemeinverbindliche Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Gebäudereinigerhandwerk Berlin in der Fassung vom 24. März 1999 (RTV) Anwendung. Im Arbeitsvertrag war eine dreimonatige Probezeit vorgesehen.
Am 6. September 1999 verabredete G. mit dem ihn behandelnden Arzt eine ambulante Operation am Finger für den 16. September 1999. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 15. September 1999, welches dem G. noch am selben Tag übergeben wurde, mit der eintägigen Frist des § 31 Ziff. 2 RTV ordentlich zum 16. September 1999. Im Anschluß an die Operation vom 16. September 1999 war G. bis zum 15. Oktober 1999 arbeitsunfähig krank. Die Klägerin leistete für die Zeit vom 17. September 1999 bis zum 15. Oktober 1999 Krankengeld in Höhe von 2.010,86 DM.
Nach schriftlichen Geltendmachungen vom 11. Oktober 1999 und vom 17. November 1999 hat die Klägerin am 22. Dezember 1999 Klage eingereicht. Sie hat geltend gemacht, die Beklagte habe aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit gekündigt. G. habe die Geschäftsführerin der Beklagten am 7. September 1999 gegen 18.30 Uhr über die bevorstehende Operation und einen dadurch bedingten Arbeitsausfall von acht bis zehn Tagen unterrichtet, worauf diese erwidert habe: "Dafür haben wir Sie eingestellt?". Der über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus fortbestehende Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 17. September bis 15. Oktober 1999 sei in Höhe des gezahlten Krankengeldes auf sie übergegangen. Nach der Entgeltbescheinigung der Beklagten vom 27. September 1999 habe G. im Zeitraum vom 3. August bis 31. August 1999 bei 160 geleisteten Stunden einen Bruttolohn von 3.363,20 DM entsprechend 2.543,31 DM netto erzielt, habe seine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 39 Stunden betragen und sei der letzte Arbeitstag der 15. September 1999 gewesen. Nicht entscheidend sei, daß zur Zeit der Kündigung die Arbeitsunfähigkeit noch nicht bestanden habe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 2.010,86 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 11. Januar 2000 zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie habe am 15. September 1999 keine Kenntnis von der bevorstehenden Arbeitsunfähigkeit gehabt. Eine Unterrichtung über die Operation durch G. habe es nicht gegeben. Die Kündigung sei wegen fehlender Eignung des G. erfolgt. Der Entgeltfortzahlungsanspruch könne nur entstehen, wenn das Arbeitsverhältnis bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers noch bestanden habe. Jedenfalls sei ein Anspruch gem. § 35 RTV verfallen, da die Geltendmachung vom 11. Oktober 1999 nicht ordnungsgemäß gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat durch Vernehmung von Zeugen Beweis darüber erhoben, ob G. die Beklagte über die bevorstehende Operation und voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit unterrichtet habe, und sodann der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
I. Die Klägerin hat an den G. für die Zeit seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vom 17. September 1999 bis zum 15. Oktober 1999 Krankengeld gem. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V gezahlt. Soweit der G. für diesen Zeitraum einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen die Beklagte erworben hat, ist der Anspruch auf die Klägerin übergegangen (§ 115 Abs. 1 SGB X). Der RTV regelt keinen Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall. In Betracht kommt aber ein Anspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1, § 8 Abs. 1 EFZG. Der Senat kann nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht abschließend beurteilen, ob die Voraussetzungen hierfür vorliegen.
II. Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne daß ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG). Voraussetzung ist, daß bei Beginn der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ein Arbeitsverhältnis besteht. Ist das Arbeitsverhältnis bereits beendet, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, kommt ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht mehr in Betracht. Das ergibt sich deutlich aus den Worten "Wird ein Arbeitnehmer ... verhindert". Daran ändert auch § 8 Abs. 1 EFZG nichts. Diese Norm durchbricht lediglich den allgemeinen Grundsatz der § 3 Abs. 1 Satz 1, § 8 Abs. 2 EFZG, daß der Entgeltfortzahlungsanspruch mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses endet. Sie bietet - von dem Sonderfall des § 3 Abs. 3 EFZG abgesehen - keine Grundlage für die Annahme, Ansprüche könnten erstmalig im Anschluß an ein beendetes Arbeitsverhältnis entstehen (Brecht EFZG 2. Aufl. § 8 Rn. 2; Schmitt EFZG 4. Aufl. § 8 Rn. 1 ff.; Dunkl in Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge EFZG 5. Aufl. § 8 Rn. 3 f.; Müller/Berenz EFZG 3. Aufl. § 8 Rn. 2 ff.; Worzalla/Süllwald EFZG 2. Aufl. § 8 Rn. 3, 9 f.; Kunz/Wedde EFZG § 8 Rn. 8 ff., 11; ErfK/Dörner 2. Aufl. EFZG § 8 Rn. 1 ff.; Vossen Entgeltfortzahlung bei Krankheit und an Feiertagen Rn. 381 ff., 394 f.; GK-EFZR Steckhan § 6 LFZG Rn. 2 ff.; Staudinger/Oetker [1997] BGB § 616 Rn. 374). Wenn § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG den Entgeltfortzahlungsanspruch unberührt, also nicht enden läßt, setzt das im Grundsatz dessen Entstehung voraus; denn § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG enthält keine originäre Anspruchsgrundlage für die Entgeltfortzahlung. Ein Normverständnis dahingehend, jede Kündigung wegen (künftiger) Arbeitsunfähigkeit bewirke nicht nur den künftigen Fortbestand des Entgeltfortzahlungsanspruchs, sondern beseitige darüber hinaus alle Entstehungshemmnisse, würde den Rahmen des Gesetzes sprengen.
Das Arbeitsverhältnis des G. bei der Beklagten hat mit Ablauf des 16. September 1999 geendet (§ 31 Ziff. 2 RTV iVm. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 1 BGB), wie zwischen den Parteien nicht streitig ist. Rechtliche Bedenken gegen die kurze tarifliche Kündigungsfrist während der dreimonatigen Probezeit bestehen nicht (vgl. BAG 23. Januar 1992 - 2 AZR 389/91 - AP BGB § 622 Nr. 35 = EzA BGB § 622 nF Nr. 40). Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann nicht beurteilt werden, ob G. im Zusammenhang mit seiner ambulanten Operation bereits am 16. September 1999 arbeitsunfähig erkrankt ist. Hat die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit erst am 17. September 1999 begonnen, besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
III. Ist krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bereits im Zusammenhang mit der ambulanten Operation in der Arztpraxis am 16. September 1999 eingetreten, könnte für diesen Tag bereits ein Entgeltfortzahlungsanspruch nach den § 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 EFZG gegen die Beklagte entstanden sein. Es kommt dann darauf an, wann die Operation stattgefunden hat und in welchem Zeitraum G. an diesem Tag hätte arbeiten müssen (vgl. etwa Dunkl aaO § 3 Rn. 134 ff.; Schmitt aaO § 3 Rn. 123 ff., 125 ff.; ErfK/Dörner aaO EFZG § 3 Rn. 71 ff.; Müller/Berenz aaO § 3 Rn. 66 ff., 69 f.; Worzalla/Süllwald aaO § 3 Rn. 47; Kunz/Wedde aaO § 3 Rn. 123 ff., 126, alle mwN). Möglich ist etwa, daß G. am Vormittag operiert wurde und erst in der Spätschicht hätte arbeiten müssen, also den Entgeltfortzahlungsanspruch erworben hat (vgl. nur BAG 21. September 1971 - 1 AZR 65/71 - BAGE 23, 444, 447 ff.; ErfK/Dörner aaO EFZG § 3 Rn. 73). Andererseits könnte G. erst nach Schichtende arbeitsunfähig krank geworden sein. Dann wäre für den 16. September 1999 kein Entgeltfortzahlungsanspruch entstanden und die Klage unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen.
IV. Grundsätzlich endet der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 8 Abs. 2 EFZG); im Streitfall wäre das der Ablauf des 16. September 1999. Jedoch wird der Anspruch gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG nicht dadurch berührt, daß der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Die Anwendung dieser Vorschrift ist im Streitfall nicht von vorneherein ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kommt es darauf an, ob G. für den 16. September 1999 bereits einen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts erworben hat.
1. Bei Kündigungsausspruch durch die Beklagte am 15. September 1999 war G. noch nicht arbeitsunfähig krank. § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist freilich nicht schon dann unanwendbar, wenn die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung noch nicht bestanden hat. Vielmehr ist auch eine Kündigung des Arbeitgebers aus Anlaß der bevorstehenden Arbeitsunfähigkeit mit der Rechtsfolge des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG möglich.
a) Der Arbeitgeber kündigt dann aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit, wenn die Arbeitsunfähigkeit wesentliche Bedingung der Kündigung ist. Es kommt auf die objektive Ursache, nicht auf das Motiv der Kündigung an. Maßgebend sind die objektiven Umstände bei Ausspruch der Kündigung. Der Begriff "aus Anlaß" wird weit ausgelegt. Es genügt, wenn die Kündigung ihre objektive Ursache und wesentliche Bedingung in der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat und den entscheidenden Anstoß für den Kündigungsentsc
luß gegeben hat (st. Rechtsprechung, vgl. BAG 26. Oktober 1971 - 1 AZR 40/71 - BAGE 24, 1, 3 f.; 20. August 1980 - 5 AZR 227/79 - BAGE 34, 128, 130 f.; Brecht aaO § 8 Rn. 4; Dunkl aaO § 8 Rn. 11; Vossen aaO Rn. 396 ff.; Geyer/Knorr/Krasney Entgeltfortzahlung - Krankengeld - Mutterschaftsgeld Stand August 2001 § 8 EFZG Rn. 27; Staudinger/Oetker aaO § 616 Rn. 377 ff.; MünchKomm Schaub 3. Aufl. BGB § 616 Rn. 102 ff., alle mwN).
b) Hieraus folgert die ganz überwiegende Auffassung im arbeitsrechtlichen Schrifttum, die Anwendung des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG setze die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bei Kündigungsausspruch voraus (Schmitt aaO § 8 Rn. 22; Geyer/Knorr/Krasney aaO § 8 Rn. 27; Brecht aaO § 8 Rn. 3; Dunkl aaO § 8 Rn. 13; Müller/Berenz aaO § 8 Rn. 7; Worzalla/Süllwald aaO § 8 Rn. 13; Kunz/Wedde aaO § 8 Rn. 16; ErfK/Dörner aaO EFZG § 8 Rn. 10, 16; Vossen aaO Rn. 400; derselbe Kasseler Handbuch 2. Aufl. 2.2. Rn. 282; Steckhan aaO LFZG § 6 Rn. 12 ff.; Erman/Belling BGB 10. Aufl. § 616 Rn. 136; Staudinger/Oetker aaO § 616 Rn. 381; RGRK-Matthes 12. Aufl. BGB § 616 Rn. 159). Zur Begründung wird durchweg nur auf das zitierte Senatsurteil vom 20. August 1980 verwiesen.
Der Senat hat hier ausgeführt (aaO, Seite 130 f., zu II 1 der Gründe):
"Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit des Arbeiters K. gekündigt. Es hat dabei übersehen, daß K. am Samstag, dem 12. November 1977, als die Kündigung ausgesprochen wurde, noch gar nicht arbeitsunfähig krank war. Die Arbeitsunfähigkeit des K. konnte damit nicht Anlaß für die Kündigung im Sinne einer diese wesentlich mitbestimmenden Bedingung sein. Daß die Beklagte am 12. November 1977 möglicherweise annahm, K. sei arbeitsunfähig krank, reicht nicht aus. Es kommt auf die objektive Ursache der Kündigung, nicht aber auf deren Motiv an (BAG 24, 1 [3] = AP Nr. 1 zu § 6 LohnFG [zu 1 der Gründe]).
Unerheblich ist auch, daß K. im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 17. November 1977 arbeitsunfähig krank war. Maßgebend für die Beantwortung der Frage, welche objektiven Umstände den Kündigungsentschluß bestimmt haben, ist der Zeitpunkt, in dem die Kündigung ausgesprochen wird. Danach eintretende Umstände können den einmal gefaßten und nach außen hervorgetretenen Kündigungsentschluß nicht mehr bestimmen. Die mit Schreiben der Beklagten vom 12. November 1977 erklärte schriftliche Kündigung war ausgesprochen, als das Kündigungsschreiben den Machtbereich der Beklagten verlassen hatte (BAG 27, 331 [335] = AP Nr. 7 zu § 102 BetrVG 1972 [zu 3 a der Gründe]). Dafür, daß dies entsprechend dem Datum des Kündigungsschreibens nicht auch der 12. November 1977 war, ist nichts ersichtlich und von der Klägerin auch nichts behauptet worden."
c) Diese Begründung trägt die herrschende Lehre nicht. Der Senat hat nicht ausgesprochen, die Arbeitsunfähigkeit müsse in jedem Falle bei Kündigungsausspruch bereits vorliegen. In Übereinstimmung mit der zitierten Begründung kommt auch eine objektiv bevorstehende Arbeitsunfähigkeit in Betracht. In dem angeführten Fall war nach den objektiven Umständen zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs am 12. November 1977 weder eine Arbeitsunfähigkeit noch eine bevorstehende Arbeitsunfähigkeit gegeben. Der Arbeitgeber konnte eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit allenfalls vermuten. Deswegen konnte die Arbeitsunfähigkeit nicht objektive Ursache der Kündigung sein.
Deutlich wird dies in der Senatsentscheidung vom 28. Juli 1976 (- 5 AZR 315/75 - AP LohnFG § 6 Nr. 4). Dort heißt es (aaO zu 3 der Gründe mit insoweit zustimmender Anmerkung Trieschmann [zu III 1]):
"Eine Kündigung aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit setzt voraus, daß der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit seines Arbeitnehmers kennt. Diese Kenntnis muß ihn zu der Kündigung veranlaßt, sie muß seinen Entschluß, sich vom Arbeitnehmer zu trennen, wesentlich beeinflußt haben (BAG AP Nr. 3 zu § 6 LohnFG). Man mag die Fälle hinzurechnen, in denen der Arbeitgeber kündigt, weil er mit einer bevorstehenden Erkrankung seines Arbeitnehmers sicher rechnen muß.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Frau H. hat am 8.11.1973 die Beklagte nur allgemein auf ihre infolge des Beinleidens geminderte Leistungsfähigkeit hingewiesen. Sie hat zum Ausdruck gebracht, daß ihr die Arbeit in ihrem derzeitigen gesundheitlichen Zustand zu schwer sei. Danach lag für die Beklagte die Lösung des Arbeitsverhältnisses deshalb nahe, weil sie ihre Arbeiterin auf Dauer gesehen nicht weiter beschäftigen konnte. Zur Zeit des Gesprächs war Frau H. noch nicht arbeitsunfähig. Auch die Wahrscheinlichkeit, daß das Grundleiden sich zu einer Arbeitsunfähigkeit ausweitete, war nicht größer als in den vorausgegangenen Beschäftigungszeiten. Die Beklagte brauchte deshalb nicht damit zu rechnen, daß Frau H. ausgerechnet in der kurzen Kündigungsfrist noch einmal arbeitsunfähig erkranken würde. Tatsächlich hat Frau H. nach diesem Gespräch auch noch gearbeitet. Sie wurde erst am 13.11.1973 arbeitsunfähig krank geschrieben, also erst fünf Tage nach dem Gespräch, das zum Aufhebungsvertrag führte."
d) Nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG muß die Arbeitsunfähigkeit bei Ausspruch der Kündigung nicht objektiv vorliegen. Der Arbeitgeber, für den Anlaß der Kündigung die bevorstehende Arbeitsunfähigkeit ist, kündigt das Arbeitsverhältnis ebenfalls "aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit". Es bedarf lediglich hinreichend sicherer Anhaltspunkte der bevorstehenden Arbeitsunfähigkeit. Bloße Vermutungen oder vage Ankündigungen können keine Grundlage dafür sein, daß die Arbeitsunfähigkeit objektive Ursache der Kündigung ist. Steht dagegen die künftige Arbeitsunfähigkeit so gut wie sicher fest, kann sie die Grundlage der Kündigung sein. Das ist gerade bei einem fest vereinbarten Operationstermin der Fall, wenn die Operation mit Arbeitsunfähigkeit verbunden ist. Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit tritt eben nicht stets unvorhersehbar und schicksalhaft ein, sondern unterliegt vielfach der Planung durch Patienten und Ärzte.
Aus dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG ergibt sich nicht, daß der (aufrecht erhalten bleibende) Entgeltfortzahlungsanspruch schon in dem Zeitpunkt bestehen muß, in dem der Arbeitgeber kündigt. Diese zeitliche Verknüpfung läßt sich den Worten "dadurch, daß" nicht entnehmen. Vielmehr kommt auch der künftige Anspruch in Betracht (vgl. für den Fall der Wartezeit des § 3 Abs. 3 EFZG BAG 26. Mai 1999 - 5 AZR 476/98 - BAGE 91, 370, 373 ff.). Vorausgesetzt wird nur, daß der Anspruch noch entsteht und seine Entstehung schon angelegt ist.
Hierfür spricht auch der Zusammenhang mit § 8 Abs. 1 Satz 2 EFZG. Kündigt der Arbeitnehmer ordentlich und wird er anschließend innerhalb der Kündigungsfrist arbeitsunfähig krank, so besteht im Falle des § 8 Abs. 1 Satz 2 EFZG kein Grund, den Arbeitgeber von der Entgeltfortzahlung zu entlasten (vgl. auch Dunkl aaO § 8 Rn. 18; Schmitt aaO § 8 Rn. 40 ff., 44).
§ 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG soll verhindern, daß sich der Arbeitgeber zu Lasten der Sozialversicherung der Entgeltfortzahlungspflicht entzieht. Zugleich will die Vorschrift den Arbeitnehmer davor bewahren, noch während der Erkrankung einen anderen Arbeitsplatz suchen zu müssen. Es wäre widersprüchlich, dem erkrankten Arbeitnehmer zwar den Schutz des Entgeltfortzahlungsgesetzes einzuräumen, dem Arbeitgeber aber zu gestatten, den gesetzlichen Schutz durch eine wegen der Erkrankung ausgesprochene Kündigung wieder zu vereiteln (BAG 26. Mai 1999 aaO S 372 mwN). Dieser Zweck greift in vollem Umfang auch im Falle der Kündigung aus Anlaß einer objektiv bevorstehenden Arbeitsunfähigkeit.
2. Die Kündigung aus Anlaß der bevorstehenden Arbeitsunfähigkeit setzt deren Kenntnis voraus. Eine solche Kenntnis ist möglich, wie gerade der vorliegende Fall zeigt. Der Kenntnis steht es gleich, wenn der Arbeitgeber kündigt, weil er mit der bevorstehenden Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers sicher rechnen muß.
V. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts läßt sich nicht beurteilen, ob für den 16. September 1999 bereits ein Entgeltfortzahlungsanspruch entstanden ist. Allein der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 16. September 1999 würde - wie ausgeführt - für die Anwendung des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG nicht genügen. Gegebenenfalls muß das Landesarbeitsgericht den Zeitpunkt der Operation und die Arbeitszeit des G. am 16. September 1999 aufklären. Ebenso kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob der etwaige Entgeltfortzahlungsanspruch mit Ablauf des Arbeitsverhältnisses geendet (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 8 Abs. 2 EFZG) oder gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG über den 16. September 1999 hinaus fortgedauert hat. Insoweit muß das Landesarbeitsgericht entsprechend dem Vortrag der Parteien Feststellungen dazu treffen, ob die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung über die bevorstehende Arbeitsunfähigkeit in Kenntnis gesetzt worden ist.
VI. Das Landesarbeitsgericht hat sich mit einem möglichen Verfall des Anspruchs nicht näher befaßt und keine abschließenden Feststellungen zu Fälligkeit und Geltendmachung getroffen. Maßgebend ist § 35 RTV, der wie folgt lautet:
Ausschlußfristen
1. Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind.
1.1 Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab, oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach Geltendmachung des Anspruches zur Erfüllung bereit, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf beim Arbeitsgericht geltend gemacht wird.
1.2 Dies gilt nicht für Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungsschutzprozesses fällig werden und von seinem Ausgang abhängen. Für diese Ansprüche beginnt die Ausschlußfrist von zwei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens.
2. Die Regelungen in Abschnitt 1 ff gelten nicht für Ansprüche des Arbeitnehmers, die darauf gestützt werden, daß der Arbeitgeber nicht die Vorschriften der auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifverträge eingehalten hat."
1. Für die Fälligkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs ist § 27 RTV heranzuziehen:
"Lohnperiode-Lohnabrechnung
1. Art, Ort und Zeitpunkt der Lohnzahlung werden unter Mitwirkung des Betriebsrates nach § 87 BetrVG festgelegt.
2. Abrechnungszeitraum ist der Kalendermonat.
3. Das Entgelt für geleistete Arbeit ist monatlich nachträglich abzurechnen und zu bezahlen.
4. Kürzere Abrechnungszeiträume können betrieblich vereinbart werden.
5. Beim monatlichen Abrechnungszeitraum (Kalendermonat) wird der Lohn spätestens am 15. des folgenden Monats fällig. Die Zahlung kann bargeldlos auf ein von dem Arbeitnehmer anzugebendes Konto gezahlt werden.
6. Erkrankten Arbeitnehmern ist das fällige Entgelt, soweit noch Barzahlung besteht, an die Wohnadresse zu senden.
7. Die Abgeltung von Zuschlägen aller Art durch erhöhten Lohn ist unzulässig."
2. Danach könnte die Entgeltfortzahlung für September am 15. Oktober, die für Oktober am 15. November 1999 fällig geworden sein.
3. Das Schreiben vom 11. Oktober 1999 stellt ausdrücklich eine Geltendmachung dar, allerdings fehlt es an der Angabe der Dauer der Arbeitsunfähigkeit des G. Ob das Schreiben wenigstens dahin verstanden werden kann, der Entgeltfortzahlungsanspruch bestehe (am 11. Oktober 1999) noch, müßte vom Landesarbeitsgericht im Wege der Auslegung ermittelt werden. Das Schreiben vom 17. November 1999 nebst Anlage reicht als Geltendmachung aus, der Zugangszeitpunkt ist allerdings nicht festgestellt. Die zweite Stufe der tariflichen Ausschlußfrist wäre demnach in vollem Umfang durch die Einreichung der Klage beim Arbeitsgericht am 22. Dezember 1999 gewahrt.
Müller-Glöge Mikosch Linck
Mandrossa E. Haas
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