Urteil des BAG vom 13.05.2004 – 2 AZR 36/04
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 13.05.2004, 2 AZR 36/04
Außerordentliche Kündigung
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 14. Oktober 2003 - 8 Sa 774/03 - aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.
Die 48 Jahre alte, geschiedene Klägerin ist seit dem 1. November 1972 bei der Beklagten als Angestellte im Bereich des Bundesministeriums für Verteidigung beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft vertraglicher Bezugnahme die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) und der diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträge Anwendung. Die Klägerin war zunächst als Büro- und Schreibkraft beim Kreiswehrersatzamt in Hagen eingesetzt. Sie erhielt dort eine Vergütung nach Vergütungsgruppe VII BAT. Im Wege des Bewährungsaufstieges wurde sie zum 1. Oktober 1980 in die Vergütungsgruppe VIb BAT eingruppiert. Mit Wirkung zum 1. Juli 1996 versetzte die Beklagte die Klägerin wegen der Auflösung des Kreiswehrersatzamtes Hagen zum Kreiswehrersatzamt Düsseldorf. Dort wurden ihr die Tätigkeiten einer Bürokraft in der Musterungsvorbereitung übertragen. Ihr monatliches Bruttodurchschnittsgehalt belief sich zuletzt auf 2.200,00 Euro.
Nachdem die Klägerin in dem Zeitraum vom 10. März bis 16. April 1997 arbeitsunfähig erkrankt war, stellte sie unter dem 21. April 1997 bei der personalbearbeitenden Dienststelle den Antrag, sie aus gesundheitlichen Gründen sofort aus dem Rheinland nach Westfalen zurückzuversetzen. Etwa gleichzeitig stellte ihr Lebensgefährte, der ebenfalls im Kreiswehrersatzamt Düsseldorf beschäftigt war, den Antrag, ihn aus dem Rheinland nach Westfalen zu versetzen. Die Klägerin leidet an einer Allergie, vor allem gegen Schimmelpilzsporen und Pollen frühblühender Bäume und Sträucher. Ihrem Versetzungsantrag war ein ärztliches Attest beigefügt, in dem unter Hinweis auf die tägliche Zugfahrt in staubhaltigen Eisenbahnen und die stärkere Belastung der Luft im Rheintal während der Blütezeit zu einem Arbeitsplatzwechsel geraten wurde. Nach einer Untersuchung empfahl unter dem 20. Juni 1997 auch der Vertrauens- und Personalärztliche Dienst der Beklagten, die Klägerin wegen der langen Fahrten zum Arbeitsort und der für sie ungünstigen klimatischen Bedingungen in Düsseldorf an einen anderen Standort zu versetzen. Gleichlautende Empfehlungen gaben in der Folgezeit auch andere Ärzte ab, wobei wiederholt das von der Klägerin gewünschte Kreiswehrersatzamt Dortmund wegen seiner Innenstadtlage als allergienarmer bzw. allergienfreier Arbeitsort genannt wurde. Dem gegenüber wies eine fürsorgeärztliche Stellungnahme des Kreiswehrersatzamtes Dortmund die Beklagte darauf hin, die Großstadt Dortmund zeige nachweislich in allen vorliegenden Messungen eine hohe Schadstoffbelastung der Luft auf; das Kreiswehrersatzamt Dortmund befinde sich an einem wichtigen verkehrstechnischen Knotenpunkt der Stadt und weise überdurchschnittliche Staubbelastung in allen Etagen des Amtes auf; die derzeit durchgeführten Umbaumaßnahmen hätten zusätzlich zu einer erheblichen Staubbelastung des gesamten Gebäudes geführt und ein vor mehr als zehn Jahren verlegter Filzteppichboden müsse in hohem Maße als Träger von Hausstaubmilben angesehen werden. Mit Schreiben vom 24. November 1997 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die Prüfung einer Einsatzmöglichkeit durch die Standortverwaltungen im Bereich Westfalen sei negativ verlaufen.
Die Klägerin ist seit dem 31. März 1998 hauptsächlich wegen eines Asthma bronchiale bis heute arbeitsunfähig krankgeschrieben. Eine Wiedereingliederungsmaßnahme bei der Standortverwaltung Wuppertal im Sommer 1998 blieb erfolglos, weil bei der Klägerin infolge des Mähens einer Rasenfläche in der Umgebung der Dienststelle erneut Beschwerden auftraten. Der medizinische Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe stellte in einem Gutachten vom 1. Februar 1999 fest, für die Standorte Wuppertal und Düsseldorf sei eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin auf Dauer anzunehmen. Eine von der Beklagten mit Schreiben vom 18. Februar 1999 angebotene befristete Wiedereingliederungsbeschäftigung beim Kreiswehrersatzamt Dortmund außerhalb eines Dienstpostens wurde von der Krankenkasse der Klägerin abgelehnt. Verschiedene Versetzungsangebote der Beklagten lehnte die Klägerin im weiteren Verlauf aus unterschiedlichen Gründen ab. Die Versetzung auf einen angebotenen Arbeitsplatz in Essen lehnte sie mit der Begründung ab, wegen der erforderlichen Vertretung einer Laborantin könne sie bei diesem Arbeitsplatzangebot keine gesundheitliche Verbesserung erkennen. Einen Arbeitsplatz in Bork lehnte sie im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Dienststelle liege im "Grünen". Auch weitere Versetzungsangebote, etwa nach Weilheim oder auf mehrere Dienstposten nach Kiel blieben erfolglos. Die Beklagte hat vor Ausspruch der Kündigung bundesweit bei zahlreichen Dienststellen nach Verwendungsmöglichkeiten für die Klägerin gesucht, ohne dass dies letztlich erfolgreich gewesen wäre.
Die Klägerin ist schwerbehindert mit einem Behinderungsgrad von 60 %. Wegen ihrer langen Beschäftigungszeit ist die Klägerin ordentlich unkündbar nach § 53 Abs. 3 BAT.
In einem vorausgegangenen Rechtsstreit beantragte die Klägerin, die Beklagte zu verurteilen, sie auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz ohne direkte Vegetation und Schimmelpilzbelastungen in Westfalen zu versetzen. Außerdem hat sie in diesem Rechtsstreit beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Differenzbeträge zwischen der Vergütung nach VI b BAT und dem erhaltenen Krankengeld für den Zeitraum von September 1999 bis August 2000 auszugleichen, da die Beklagte sich mit der Nichtvornahme der Versetzung schadensersatzpflichtig gemacht habe. Diese Klage ist in beiden Instanzen abgewiesen worden (LAG Düsseldorf Urteil vom 19. Januar 2001 - 14 Sa 1344/00 -).
Nachdem das Integrationsamt mit Bescheid vom 26. August 2003 der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung zugestimmt hatte, erklärte die Standortverwaltung Düsseldorf nach Einholung der Zustimmung des Personalrats mit Schreiben vom 17. September 2002 die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist (sechs Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres, das heißt zum 31. März 2003) wegen langanhaltender dauerhafter Erkrankung.
Mit der am 25. September 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 17. September 2002 nicht beendet worden ist.
Sie hat die Auffassung vertreten, die außerordentliche Kündigung sei bereits deshalb unwirksam, weil sie gem. § 626 Abs. 2 bzw. § 91 SGB IX verfristet bzw. nicht unverzüglich ausgesprochen worden sei.
Die Klägerin hat behauptet: Sie sei nicht insgesamt arbeitsunfähig, sondern sei beim Kreiswehrersatzamt Dortmund und in Hemer vollschichtig einsatzfähig. Aus diesem Grunde habe auch die Krankenkasse eine Wiedereingliederungsmaßnahme in Dortmund nicht finanzieren wollen, da sie in Dortmund ohne weiteres sofort voll einsatzfähig sei. Eine Beschäftigung in Dortmund sei auch möglich gewesen, da im Jahre 2002 ein Mitarbeiter aus der Auflösungsdienststelle Gerätedepot Bork auf einen freien Dienstposten beim Kreiswehrersatzamt Dortmund versetzt worden sei. Auch auf den zwei im Kreiswehrersatzamt Hemer frei gewordenen Dienstposten sei sie ohne weiteres einsetzbar gewesen. Man habe ihr die Stellen jedoch nicht angeboten. Ihr könne nicht entgegen gehalten werden, dass sie noch lange nach ihrem letzten Arbeitstag in Düsseldorf arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Es habe sich insoweit um Spätfolgen, verursacht durch die Schimmelpilzbelastung an ihrem Arbeitsplatz in Düsseldorf gehandelt, die ihre Gesundheit extrem geschädigt habe. Eine Versetzung nach Dortmund sei im Übrigen auch aus sozialen Gründen geboten gewesen, um überlange Fahrzeiten zu ihrem Arbeitsplatz zu verhindern.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 17.09.2002 nicht beendet wird,
2. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1), die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und behauptet: Die Klägerin sei auf Dauer arbeitsunfähig, und zwar auch in Dortmund und Hemer. Im Übrigen seien dort auch keine Stellen frei bzw. seien dort keine Stellen neu besetzt worden. Außerdem sei nach den Personalwirtschaftsrichtlinien des Bundes sowie nach dem Tarifvertrag über sozialverträgliche Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Bundeswehr vom 18. Juli 2001 anderes Personal bevorzugt zu behandeln gewesen. Auch umfangreichste Bemühungen, für die Klägerin einen leidensgerechten Arbeitsplatz zu finden, seien erfolglos geblieben, weil die Klägerin zunächst alle Arbeitsplätze außer einem nicht vorhandenen Arbeitsplatz in Dortmund kategorisch abgelehnt habe. Die Klägerin habe aber keinen Anspruch darauf, sich bei Schließung ihrer bisherigen Dienststelle ihren Arbeitsplatz selbst auszusuchen. Es müsse auch davon ausgegangen werden, dass die Klägerin wegen ihrer schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen überhaupt nicht mehr einsatzfähig sei. Es sei zu bezweifeln, ob dies mit einer Pollen- oder Staubbelastung am Arbeitsplatz im Zusammenhang gestanden habe. Die Klägerin habe damals an einem Ort gewohnt, der nicht - wie von ihr behauptet - frei von Vegetation sei, sondern unmittelbar an Bepflanzungen grenze; außerdem besitze die Klägerin zwei Papageien.
Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 17. Dezember 2002 ein Sachverständigengutachten einholen wollen über die Frage, ob die Klägerin auf Grund ihrer Erkrankung auf Dauer gehindert ist, ihre Tätigkeit als Bürokraft zu erbringen oder ob der Einsatz in Dortmund/Hemer dazu führe, dass die Klägerin ihre Tätigkeit ohne erhebliche Ausfallzeiten ausführen könne. Die Klägerin hat sich jedoch geweigert, den vom Sachverständigen anberaumten Untersuchungstermin in Düsseldorf wahrzunehmen. Zur Begründung verwies sie darauf, dass es ihr unzumutbar sei, bereits um 5.43 Uhr einen Zug in ihrer Heimatstadt zu nehmen, und zwar nüchtern, um de
Untersuchungstermin in Düsseldorf pünktlich wahrnehmen zu können. Außerdem legte sie ein ärztliches Attest vor. Hiernach konnte sie auf Grund einer psychosomatischen Angstreaktion den Termin nicht wahrnehmen. Die Angstreaktion beruhe auf einem subjektiven Krankheitsgefühl, welches nur sehr schwer beeinflussbar sei.
Das Arbeitsgericht hat daraufhin die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht nach den Klageanträgen erkannt. Mit ihrer vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung der Beklagten sei schon deshalb unwirksam, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 91 Abs. 5 SGB IX unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen worden sei. Der Arbeitgeber müsse am ersten Arbeitstag nach Beendigung des Zustimmungsverfahrens das Anhörungsverfahren beim Personalrat einleiten und am ersten Arbeitstag nach Beendigung des Anhörungsverfahrens die Kündigung erklären, das heißt, sie dem Arbeitnehmer noch an diesem Tag zugehen lassen. Dies sei nicht geschehen.
II. Dem folgt der Senat nicht. Die Kündigung ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht nach § 91 Abs. 5 SGB IX, § 626 Abs. 2 BGB unwirksam.
1. Nach § 91 Abs. 2 SGB IX kann die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden. Die Frist beginnt mit Ablauf des Tages, an dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Diese Frist ist schon deshalb gewahrt, weil die Beklagte ihre Kündigung damit begründet hat, die Klägerin könne infolge Arbeitsunfähigkeit die vertraglich vereinbarte Leistung nicht mehr erbringen. Damit macht die Beklagte einen Dauertatbestand geltend, der sich fortlaufend neu verwirklicht (Für den Fall dauernder Krankheitsanfälligkeit: BAG 18. Oktober 2000 - 2 AZR 627/99 - BAGE 96, 65).
2. Nach § 91 Abs. 5 SGB IX kann die Kündigung auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erfolgen, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklärt wird. Da durch § 91 Abs. 5 SGB IX die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB lediglich ausgedehnt wird (vgl. zu § 21 Abs. 5 SchwbG BAG 15. November 2001 - 2 AZR 380/00 - BAGE 99, 358), greift die Vorschrift erst dann ein, wenn die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB abgelaufen ist. Letzteres war hier, da es sich um einen unveränderten Dauerkündigungsgrund handelte, nicht der Fall (s. auch BAG 27. November 2003 - 2 AZR 601/02 -; 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 19 = EzA BGB 2002 § 130 Nr. 1, zu B II 1 der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
3. Ob der Personalrat unverzüglich beteiligt und die Kündigung unverzüglich nach Stellungnahme des Personalrats erklärt worden ist, was das Landesarbeitsgericht geprüft und verneint hat, kann deshalb ebenfalls offen bleiben.
4. Es besteht auch kein Anhaltspunkt für die Annahme, die Beklagte könne sich auf die erteilte Zustimmung des Integrationsamts nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht mehr berufen. Zwar sind Fälle denkbar, in denen der Arbeitgeber nach erteilter Zustimmung so lange mit dem Ausspruch der Kündigung wartet, dass er sich auf die Zustimmung nicht mehr berufen kann. Hier ist jedoch die Kündigung bei unverändertem Sachverhalt nach Beteiligung des Personalrats noch so zeitnah ausgesprochen worden, dass insoweit keine Bedenken bestehen.
III. Das Landesarbeitsgericht hat, von seinem Standpunkt aus konsequent, keine Feststellungen zum Kündigungsgrund und zur Personalratsbeteiligung getroffen. Dies wird nach der Zurückverweisung nachzuholen sein.
Bei der Prüfung des Kündigungsgrundes wird das Landesarbeitsgericht folgendes zu beachten haben:
Krankheit ist nicht grundsätzlich als wichtiger Grund iSd. § 626 BGB ungeeignet. An eine Kündigung wegen Erkrankung eines Arbeitnehmers ist zwar schon bei einer ordentlichen Kündigung ein strenger Maßstab anzulegen. Dies schließt aber nicht aus, dass in eng zu begrenzenden Ausnahmefällen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber unzumutbar iSd. § 626 Abs. 1 BGB sein kann. Dies kommt bei einem Ausschluss der ordentlichen Kündigung auf Grund tariflicher Vereinbarung in Betracht, wenn das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis auf Dauer erheblich gestört ist (BAG 27. November 2003 - 2 AZR 601/02 -).
Es wird zu prüfen sein, ob für die Gesundheitsprognose, dass bei der Klägerin im Kündigungszeitpunkt in unzumutbarem Umfang mit weiterem krankheitsbedingten Ausfall (vgl. BAG 27. November 2003 - 2 AZR 601/02 -) zu rechnen war, wirklich die Einholung eines Sachverständigengutachtens notwendig ist, oder ob insoweit schon die bisherigen ärztlichen Stellungnahmen ausreichen. Dabei ist es nicht ausgeschlossen, auch die spätere Entwicklung des Gesundheitszustandes der Klägerin mit zu berücksichtigen. Es kommt zwar auf die Prognose im Kündigungszeitpunkt an. Dabei ist jedoch die spätere Entwicklung mit zu bewerten, soweit sie die Prognose im Kündigungszeitpunkt bestätigt (BAG 27. November 2003 - 2 AZR 48/03 - zVv.). Hier kann vor allem nicht außer Betracht bleiben, dass die Klägerin auch weiterhin - offenbar bis heute - über einen ganz erheblichen Zeitraum hinweg arbeitsunfähig krank war und selbst vorträgt, ihre Gesundheit sei extrem geschädigt. Von Bedeutung kann auch sein, dass der Gesundheitszustand der Klägerin offensichtlich so schlecht ist, dass es ihr noch Jahre nach ihrem letzten Arbeitstag offenbar aus gesundheitlichen Gründen unmöglich war, auch nur zu einem Arzttermin zu erscheinen. Dies wird zwar mangels Verschulden nicht - wovon das Arbeitsgericht ausgegangen ist - als Beweisvereitelung anzusehen sein. Immerhin könnte dieser Umstand geeignet sein, die schlechte Prognose über den weiteren Krankheitsverlauf im Kündigungszeitpunkt zu bestätigen.
Es wird auch zu prüfen sein, ob es aus Sicht der Beklagten nicht möglicherweise unzumutbar gewesen ist, der Klägerin überhaupt noch einen Arbeitsversuch zuzumuten, nachdem sie krankheitsbedingt derart zahlreiche Arbeitsplätze im ganzen Bundesgebiet abgelehnt hatte. Den Arbeitgeber trifft grundsätzlich die Fürsorgepflicht, weitere Gesundheitsschäden des Arbeitnehmers zu vermeiden, die dadurch entstehen können, dass er dem Arbeitnehmer eine Arbeit zuweist, die seinen schlechten Gesundheitszustand extrem nachteilig beeinflussen kann. Die Klägerin hat zwar eine Arbeit in Dortmund und Hemer subjektiv als für sie leidensgerecht eingestuft. Insoweit bestehen aber Bedenken, weil nach der Lebenserfahrung alles dafür spricht, dass auch diese beiden Orte für die Klägerin, die kein Auto besitzt, nicht mit staubfreien öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sind und auch dort zB Rasen gemäht wird.
Gelangt das Landesarbeitsgericht trotz dieser Bedenken zu dem Ergebnis, dass in Dortmund oder in Hemer ein zumutbarer, leidensgerechter Arbeitsplatz für die Klägerin bestand, so wird weiter zu prüfen sein, ob dort ein Arbeitsplatz vorhanden war, dessen Zuweisung an die Klägerin der Beklagten zumutbar war. Fällt der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers weg und weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen freien Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb oder einer anderen Dienststelle zu, so ist der Arbeitgeber jedenfalls nicht verpflichtet, für den Arbeitnehmer einen dritten Arbeitsplatz freizukündigen, der zB wegen seiner räumlichen Nähe zur Wohnung des Klägers aus dessen Sicht günstiger ist (BAG 28. Oktober 1999 - 2 AZR 437/98 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 44 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 48). Der Arbeitnehmer hat, wenn seine bisherige Beschäftigungsmöglichkeit wegfällt, nicht das Recht, sich einen Ersatzarbeitsplatz selbst auszuwählen. Von daher ist es zutreffend, dass das Landesarbeitsgericht in dem Parallelverfahren entschieden hat, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zuweisung eines Arbeitsplatzes in Dortmund gehabt. Den Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz weggefallen ist, trifft im Gegenteil die Obliegenheit, an den Versuchen des Arbeitgebers, für ihn eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit zu finden, selbst kooperativ mitzuwirken. Zwar sind an die Bemühungen des Arbeitgebers, für den zur Kündigung anstehenden ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer eine andere Beschäftigungsmöglichkeit zu finden, erhebliche Anforderungen zu stellen. Damit korrespondiert jedoch die Obliegenheit des Arbeitnehmers, diese Bemühungen nicht dadurch zunichte zu machen, dass er über einen längeren Zeitraum hinweg die verschiedenartigsten Angebote des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz ablehnt. Es kann dahinstehen, ob, wie dies zahlreiche Tarifverträge regeln, die außerordentliche Kündigung in derartigen Fällen schon dann grundsätzlich zulässig ist, wenn der Arbeitnehmer einen zumutbaren Arbeitsplatz ohne hinreichenden Grund ablehnt. Jedenfalls sind auch an die Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers insoweit erhebliche Anforderungen zu stellen.
In diesem Zusammenhang wird die Frage von Bedeutung sein, ob die Krankheit der Klägerin die einzige Ursache war, dass die Klägerin über Jahre hinweg in der Verwaltung der Beklagten nicht mehr eingesetzt werden konnte. Zahlreiche Erklärungen der Klägerin erwecken immerhin den Eindruck, als sei ihre Ablehnung der verschiedensten Arbeitsplätze auch durch ihre Absicht mit bestimmt worden, ihren Weg zur Arbeit möglichst günstig zu gestalten. Bei dieser Frage wird auch der Behauptung der Beklagten nachzugehen sein, schon das Wohnumfeld der Klägerin entspreche so wenig dem gewünschten Arbeitsplatz in Dortmund, dass von einer alleinigen oder nur überwiegenden Verursachung der gesundheitlichen Schwierigkeiten der Klägerin durch die Arbeitsversuche in Düsseldorf und Wuppertal nicht ausgegangen werden könne. Hier könnte es auch eine Rolle spielen, dass der seinerzeit auch bei der Beklagten in Düsseldorf beschäftigte Lebensgefährte der Klägerin ausweislich der Akten offenbar etwa zum gleichen Zeitpunkt wie die Klägerin einen Versetzungsantrag "aus dem Rheinland nach Westfalen" gestellt hat (vgl. BAG, 19. Februar 1997 - 5 AZR 747/93 - BAGE 85, 140 LS 3 b und c).
IV. Das Landesarbeitsgericht wird auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.
Rost Bröhl Schmitz-Scholemann
Röder Heise
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